Aktuell
© 1999-2024 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Eterna

Start > Prosa > 2000

Es ist wie damals. Wieder einmal. Vor mir steht Eterna. Auf ihrem lieblichen, elfenhaften Gesicht hat sich ein fremdartiger Ausdruck niedergelassen. Ich kann ihn nicht deuten, aber ich spüre, daß etwas unheilvolles geschehen wird. Sie formt mit beiden Händen eine Mulde, in der sie einen leuchtenden Gegenstand hält. Nein, meine Wahrnehmung hat mich getäuscht. Es ist keine Materie, die sie in ihren Händen schützt - doch da sagt sie mir schon, was es ist:

„Es sind all unsere Träume. Schau her! All unsere Träume in allen Farben des Lichts“. Ich bin erstaunt. Tatsächlich, was sie in ihren Händen hält, schimmert bunt, ist das ganze faszinierende Lichtspektrum von den dämmernden roten bis zu den tiefen violetten Tönen.

Ist sie es wirklich - ist es Eterna, meine Geliebte, die dort vor mir steht? Ich mustere das Wesen in seiner äußeren Gesamtheit, indem ich beim Kopf beginne, aber bereits bei den Augen wird mein Blick gefangen, unweigerlich in die felsigen Tiefen ihrer Seele gezogen. Es gibt kein Entrinnen.

>>>

Es ist Nacht. Leichter Frost hält die Tiere in ihren winterlichen Verstecken, nur der Vollmond sendet ungestört seine kühlen Strahlen auf die Erde. Vereinzelt bricht sich Sternenlicht in den ruhigen Wellen des Meeres, schimmert beinahe dämonisch und erzählt meinem alten Herzen Geschichten vergangener Liebe. Vor mir streckt eine goldene Brücke ihre Felder in die Weite der See. Dies ist der Weg, den ich nehmen muß. Ich kann nicht sagen, wo die Brücke enden wird, aber man erzählt sich, daß dort drüben das neue Reich warte.

Ich habe einen dünnen Mantel an, der die Kälte nur mühsam von mir fern hält. Doch in mir selbst glüht es. Woher kommt diese unbeschreibliche Hitze? Es muß ein Fieber sein, das mich gepackt hat. Ich weiß nicht mehr, wann. Was weiß ich überhaupt?

Ich wische mir den Schweiß von den Augenbrauen. Dieses etwas will mich verbrennen. Warum nur - ich habe niemandem etwas getan. Wahrscheinlich ist es gerade das. Ganz bestimmt. Mittlerweile stehe ich auf der Brücke. Unter mir rauschen sanft die Fluten. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Meine Schritte ergeben ein hohles metallenes Klingen, und trotzdem scheint sich daraus eine mir bekannte, verführerische Melodie zu formen - fast wie ein Lockruf in die Ferne. Das alles gibt mir Sicherheit. Von nun an bewege ich mich rascher. Dann plötzlich vernehme ich ein entsetzliches Wimmern hinter meinem Rücken. Verängstigt blicke ich mich um. Am Ufer steht eine schwarze Gestalt - ich kann sie kaum erkennen. Da passiert etwas: es ist, als wäre ein Käfig um mein Gehirn gesprengt worden und alles erscheint viel deutlicher, in einer selten erreichten kristallenen Klarheit. Dort am Ufer, das ist meine Eterna, gekleidet in ein schwarzes, still wehendes Kleid. Über ihr silbernes Gesicht kriechen dunkelrote, zähflüssige Tränen. Das Wimmern bricht ab und ich sehe, wie ihr Mund leise nach mir ruft. Ihre rechte Hand winkt mir freudig zu und der drückende Fluss der Tränen erstirbt. Euphorie durchströmt meinen Körper. Ich spüre, wie sich alles in mir nach der Liebe reckt, wie die salzige Luft meine Lungenflügel reinigt, wie die allgegenwärtige Kraft der Gravitation, dieses kleine Stück gekrümmte Raumzeit, ein wenig von mir abläßt. Es zu beschreiben --- kann nicht mit Worten erreicht werden. Nie könnte es das. Eterna, meine Liebe! Meine Eterna! Mein Alles!!

Ich rase den Weg zurück zum Ufer. Meine Schuhe schlagen gewaltsam auf die goldene Brücke, aber nun höre ich keine Melodien mehr, nur noch das Ächzen des weichen Metalles. Dort, dort am Ufer - noch immer winkt sie mir zu, wird dessen nicht müde. Und ich renne ihr entgegegen - ihr immer weiter entgegen. Aber ich komme ihr nicht näher. Die Brücke nimmt kein Ende, einfach kein Ende. Ich kann den Strand nicht erreichen! Meine Beine überschlagen sich - ich komme kein Stück voran, viel eher, so muß ich die grausame Wahrheit erkennen, wird die Distanz zum Ufer stetig größer, bis ich Eterna kaum noch sehen kann. Dann setzt es wieder ein, dieses entsetzliche Wimmern und der Käfig um mein Gehirn schnappt erneut zu.

Über mir höre ich den vollen Mond lachen. Sehr bald kommt ein eisiger Wind auf - nein, es ist eigentlich ein Sturm, der die Wellen wie besessen peitscht. Die Brücke fängt an zu zittern und ich gebe es auf, das Ufer doch noch erreichen zu wollen. Ich setzte mich auf den Boden und weine heimlich erstickte Tränen. Und dennoch: sie hinterlassen giftige, weiße Spuren auf meinem Antlitz. Eine einzige nur fällt auf die Brücke - dann löst sich die edle Konstruktion auf und der Sturm reißt mich in die wilden Wellen der See.

Ich bin verloren - und es ist überflüssig, an diese Niederlage noch zu denken. Es gibt kein Entrinnen.

<<<

Ich tauche wieder auf aus ihrer Seele. Eterna lächelt, flüstert etwas durch ihre zarten Lippen. Dann tritt sie auf mich zu - die Träume hält sie noch immer sicher in ihren Händen. Aber nun wirbeln die Farben unaufhaltsam durcheinander, drehen sich schneller um ihre eigenen kleinen Bahnen - bis sie sich zu einem rein leuchtenden Weiß vermischen. Wieder hat es mich gefangen, doch dieses Mal werde ich nicht ...

>>>

Ich erwache. Die Sonne brennt mir in die Augen. Ich schließe sie rasch, dann versuche ich es erneut. Es ist Tag und ich liege am Ufer, nur wenige Meter vor mir spült die See die schaumigen Wellen an den Sandstrand. Das monotone Rauschen gibt mir Gewissheit: Ich lebe.

<<<

Die Träume schwirren nun durch den Raum. Meine Lippen haben sich auf Eternas Lippen gesenkt. Ich umfasse ihren warmen Körper, fühle, wie ihn das Blut durchfließt, wie ihr Herz lachend schlägt, sich ihre Lunge durch den leichten Atem hebt und wieder senkt. Ihre Haut ist weich und es scheint fast so, als könnte ich in ihr versinken. Eterna - sie ist eine Göttin. Meine Göttin! Ich werde in ihr versinken.

>>>

Das monotone Rauschen der Wellen - es hat nicht aufgehört. Ich blicke auf das Wesen zu meinen Füßen. Es ist wie ein surrealistischer Fremdkörper in einem Foto. Was macht er hier - was ist geschehen? Ich kniee mich in den Sand, streiche die Haare aus dem bläulichen Gesicht des gestrandeten Wesens.


Das ist sie, ist Eterna, meine Göttin! Meine Hand streichelt ihre kalten Wangen. Eterna schläft - ich hauche ihr ihren Namen in das Ohr. Aber ich weiß es - so sicher, wie seit langem nichts mehr:


Sie wird nicht mehr erwachen.

© 2000 by Arne-Wigand Baganz

Note: 1.09 · Aufrufe: 3287

Ihre Bewertung dieses Textes:

Stichwörter
#Liebe 
Vorheriger Text:
nihil est
Nächster Text:
exil der traeume