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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Luna, wie sie hiess

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"Weißt Du, mittlerweile habe ich den Zustand der vollständigen Leere erreicht. Und es gibt keinen Weg zurück."

Ich blickte in ihre gutmütigen Augen, tiefblau. Sie nickte, als würde sie mich verstehen, aber ich war mir sicher, sie verstand nicht. Keiner verstand mich, auch nicht sie, die sie meine Geliebte war - Luna, die sprichwörtliche Gesandte eines illusionären Gottes.

"Wir wollen nicht mehr darüber reden" schwebte ihre sanfte Stimme durch den düsteren Raum und sie griff nach meiner kalten Hand, die ich ihr scheu entzog. Dann aber kam Luna auf mich zu und umfaßte meinen widerspenstigen Körper mit ihren engelhaften Armen. Mir wurde ganz warm und die Flamme der Kerze tanzte noch immer lieblich im Windzug. Ich entkrampfte mich, schob die finsteren Gedanken fort, öffnete die Pforte des Vergessens und trat in mächtigen Schritten durch sie hindurch in ein neues Reich.

Ein neues Reich.

Ein gleißendes Licht blendete meine Augen und voller Demut senkte ich den Blick auf meine Füsse. So stand ich ein Weilchen in den Fluten der Erleuchtung, die mich mit all ihrer Kraft umspielten.

Der einsame Klang einer melancholischen Trompete drang an mein Ohr. Die Augen zusammengekniffen, schaute ich langsam auf und sah vor mir den schlichten Palast des Herrschers.

"Das Größte ist im Kleinsten" rief vorbeifliegend ein Rabe zu mir herab und verschwand.

Ich folgte dem Klagen der Trompete und näherte mich so dem rätselhaften Gebäude. Wenig später dann befand ich mich vor dem Eingang und die Tür war offen.

Die Tür war offen.

Ich betrat den Palast, es wurde dunkel. Meine Augen sahen schwarz und die Trompete versank im Schweigen. Eine ergreifende Stimme ertönte so tief, wie ich noch niemanden hatte sprechen hören. Sie hieß mich setzen - und von einer ängstlichen Unsicherheit erfüllt, befolgte ich diese Anordnung.

Da ich nun auf dem kühlen Fußboden saß, harrte ich dem, was kommen mochte.

"Laß uns reden, denn deswegen bist Du hier" gab der Unbekannte von sich.

"Ich bin Nihil und froh, Dich als meinen Gast begrüßen zu dürfen. Ach, was rede ich da, ich bin natürlich erbost, daß Du hier eingedrungen bist und ja - alles hat seine 2 Seiten". Indem ich leise "Ja" murmelte, gab ich Nihil meine Zustimmung. Ich fror und hatte keine Lust, mich mit ihm zu unterhalten. Warum auch ?

In mir war

"Vollständige Leere ist in Dir" fuhr Nihil fort "und vollständige Leere wird für immer in Dir sein".

Bedrückt hörte ich hier die Verkündung meines Schicksales - und es war so wahr und es war so falsch.

Ich wollte Nihil etwas entgegnen, aber meine Zunge war gelähmt und kein Wort drang mehr aus meinem Körper.

"Psst!" sagte sie leise und legte mir ihren Zeigefinger auf den Mund.

"Alles wird gut" und sie streichelte mit ihren zarten warmen Händen mein fiebrig-feuchtes Gesicht. "Du brauchst nicht schreien. Und ja, alles wird gut".

Ihre Stimme kam von so weit weg, klang so dumpf und doch loderte in jeder Silbe, die aus ihrem Mund schwebte, das Feuer ihrer unendlichen Liebe. Ein schwaches Lächeln wurde mir zur Maske und ich schrie ein letztes Mal, was meine Stimmbänder zu leisten vermochten. Ich war ohnmächtig, diesen Zwang zu unterdrücken.

Ich spürte ihre Hände und "Ja, alles wird gut".

Luna aber vergrub noch in derselben Nacht den Leichnam im Garten.

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