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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

illusion

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am himmel ziehen die wolken vorueber. rote und blaue. und mit sich tragen sie den schweren duft der rosenfelder, die seit tagen ihr wohl einziger beobachter an der erde waren. nun sind sie in die ferne gerueckt und unter den farbigen wolken steht der schwarze koenig, allein und gefangen in einer ganz und gar majestaetischen lichtillusion, die noch die hellste sonne im multiversum wie ewige fisternis erscheinen laesst und die ihn nun schon wochenlang in einen zustand nahe vollkommener verruecktheit versetzt.

seine gedanken gehen wirr und sind nur noch auf das eine gerichtet. mit offenem mund steht er da, schaut aus augen funkelnd wie geschliffene diamanten geradewegs in die leere. sein blick trifft nichts. er sieht nur die blendung und wie sich das licht in seinen augen in frohe, tanzende spektren bricht. er gleicht einem gott in den hoechsten stunden.

die wolken verharren am firmament, stecken ihre runden koepfe zusammen, bilden eine bizarre figur. dann sausen sie ploetzlich hinab zur erde, geradewegs auf den traeumenden koenig zu und sie nehmen ihn mit sich, tragen ihn hinauf in den himmel und er weiss nicht, wie ihm geschieht. er denkt, er traeumt - wenn er noch denken kann. und er lacht und freut sich, wie das leben mit ihm spielt, was ihm das schicksal so unerwartet bringt und wie alles enden mag.

die reise ist lang und geht nicht nur in die hoehe. sie durchstreift alle dimensionen. der verzueckte koenig wechselt aus einem halbwachen zustand in den schlafenden. dann ist er wieder halbwach, dann schlaeft er erneut. die orientierung hat er laengst verloren, er laesst sich von den wolken einfach weiter tragen.

irgendwann ist die reise zu ende. wann und wo, das laesst sich nicht sagen. und ob der koenig noch der selbe ist? wie koennte er das sein? alles und nichts veraendern sich fortwaehrend und so auch er.

auf einer riesigen ebene hat man ihn abgestellt. die oberflaeche ist wie von blankgeriebenem stahl, nur ein wenig waermer. er dreht sich langsam um sich selbst. die augen suchen den horizont ab wie hungrige raubtiere nach ihrer naechsten mahlzeit, doch nirgendwo koennen sie etwas anderes erblicken als die ewig langweilige ebene. hier ist sich alles gleich und ein niederschmetterndes gefuehl unendlicher angst beschleicht ihn langsam, so dass seine schritte, die er nun vorsichtig auf den unbekannten grund setzt, immer schwerer werden, bis er vollends zum stillstand kommt und fast zu stein erstarrt. da erscheint vor ihm von einem augenaufschlag zum naechsten ein tor, erhaben und maechtig, als kaeme es aus einer anderen zeit, heroischer als das hier und jetzt.

dem schwarzen koenig kommt nun alles bekannt vor, denkt er sich. er weiss, wie die naechsten schritte seines handelns auszusehen haben. hinter diesem maechtigen tor verbirgt sich die zur realitaet gewordene illusion, die er in seinem kopf und seinem herzen traegt. er wuerde nur ordentlich an der tuere ruetteln muessen, bis sie nachgab, vielleicht mit einem quietschen, vielleicht auch unhoerbar elegant, dann haette er alles erreicht, wovon er immer traeumte.

[...]

waehrend ihm dies bewusst wurde, oeffnete sich die hoelzerne tuer im tor bereits von allein. nun war kein ruetteln mehr von noeten, aber, plagte es den schwarzen koenig im inneren, was war das alles noch wert, so vor ihn hingeworfen und er muesste nur ein paar schritte in die rechte richtung tun, dann wuerde alles gut sein. das konnte, wollte und durfte er nicht akzeptieren - und doch wuetete in ihm die verlockung, dieser elende durst nach befriedigung, der ihn schritt um schritt naeher zum tor trieb. er hatte seine mageren beine nicht mehr in der gewalt. sie bewegten sich wie eben das tor wie von fremden, unsichtbaren maechten gesteuert. und er fand sich damit ab, denn wenn es das schicksal so wollte, so musste es auch sein wille sein.

direkt vor der dem tor angekommen, nur noch einen schritt von der erloesung entfernt, versagten ihm die kraefte. die unbekannte macht verliess ihn, er fiel in sich zusammen, schlug mit seinem kopf hart auf den boden der ebene. im fallen erhaschte er noch einen kurzen blick in die geliebte illusion, die seine realitaet haette werden sollen. sie schimmerte so freundlich und aus ihrem himmel wuchs ein pfeil, an dem stand: "das hier ist dein platz".

dann wurde ihm schwarz vor augen und er spuerte noch, wie ihm das warme blut aus mund- und nasenloch sickerte. von weit weg hoerte er eine sueße stimme bitterlich weinen. da wusste er, dass seine illusion gestorben war.

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