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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

ohn´ macht

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um in abgruende zu stuerzen,
muss man erst gipfel erklimmen

der fuenfte tag, seit dem ich kein wort von dir vernommen. diese unwissenheit macht mich rasend. ich beisse mir auf die finger, kratze den rohen putz von den waenden. was gaebe ich nicht um ein stueck papier in einem umschlag, darauf deine unverkennbare schrift, diese schuechternen kleinen zeichen, die doch mit einer schwungvollen eleganz von deiner hand geformt wurden. nur ein paar kuemmerliche saetze, sollten sie auch sehr nichtssagend sein - sie koennten in mir die wundersamsten illusionen erschaffen. etwas, an das sich meine entleerte seele gern klammern wird, eine zarte ahnung von leben wie die ersten blumen nach einem harten winter. aber ich warte vergebens.

in mir kaempft der hass. der hass auf alles, was ist - oder nein, es ist nur diese gleichgueltigkeit. hassen habe ich laengst verlernt, denn dafuer braeuchte man noch ein herz. immer wieder schwaermen die gedanken aus, begeben sich auf die jagd und kehren zurueck ohne beute. es ist ein ewiges sich-im-kreis-drehen und das gehirn bekommt nichts zu fassen, mit dem es sich beschaeftigen koennte. die erinnerungen an schoenere tage sind laengst aufgebraucht.

so liege ich also auf meiner holzpritsche und starre in die leere vor und um mir, als ich den raben vor dem fenster sehe, der neugierig und stolz in meine zellengruft hinabblickt. ich bin traege geworden, aber dennoch ist mir dieses seltsame vogeltier nicht unbemerkt geblieben. vielleicht sitzt es auch schon seit stunden da und schaut mir in meinem elend zu. ich weiss es nicht, will es nicht wissen. soll es der rabe fuer sich behalten und einmal seinen enkelkindern davon erzaehlen ...

der rabe schweigt. wir schauen uns gegenseitig an - fuer ewigkeiten. und dann ist es, als wuerde er doch zu mir sprechen, oder ich spreche zu mir und halte dies fuer die stimme des raben. er ruft meinen namen, er ruft meinen namen. immer wieder ruft er meinen nahaaaa-men.

der krieger, der ich bin, der ich bin hier gefangen in diesem kerker. nicht gefangen, denn frei in gedanken, im geiste und das schwarze schwert wieder an der seite, immer zum kampf bereit, neue schlachten zu schlagen, vorwaerts stuermend im blutrausch, hinweg ueber die gefallenen springend, atmend. luft, luft, luft und verwesung. auge in auge mit dem feind, wie er mich fasst, wie ich ihn fasse in blicken schon tot.

wie aus weiter ferne sehe ich den mich kurz anblinzelnden raben. dann fliegt er davon und auch ich muss weiter - weiter im leben, diesem fortwaehrenden sterben.

© 2003 by Arne-Wigand Baganz

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