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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

vor und zurueck

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ich erinnere mich noch genau an den tag, an dem ich den weissen falken das erste und letzte mal sah. ich ging damals in die wueste, um mich selbst in der einsamkeit zu finden und die vielzahl der gedanken, die in meinem kopfe tobte, in eine hoehere ordnung zu bringen. es war eine wanderung, wie ich sie gelegentlich unternahm, also etwas fuer mich sehr gewoehnliches. der sand rieselte durch meine offenen schuhe auf die fuesse, ich hatte bereits eine betraechtliche strecke zurueckgelegt, die sonne verschuettete ueberall ihr gold und die unbestimmtheit war mein ziel.

wenn der mensch so geht, geraet er leicht in eine art daemmerzustand: kraefte, die er sonst nicht spuert, wirken nun gewaltig auf ihn ein, lassen sein leben als eine geaenderte wirklichkeit erscheinen, vielleicht auch als einen traum, in dem man sich nur wie ein schemen bewegt und staendig zweifelt, ob man selbst tatsaechlich ist - wer oder was treibt einen voran? mit jedem schritt in das ungewisse macht sich das wesen freier von seinen ketten, der alltaeglichkeit, die nie etwas anderes als ein balken vor dem kopf sein kann.

es ist wohl auch dieser befreiung zuzuschreiben, dass sich das bewusstsein weitet. alles bekommt ploetzlich eine bedeutung. der sand ist nicht mehr nur sand, die sonne nicht mehr nur sonne, die felsen in der ferne nicht mehr nur felsen. in allem steckt der betrachter, stecke ich, und vieles, was sonst unbemerkt bleibt, findet den weg zu den augen, schleicht sich in den kopf und breitet sich dann in harmonischen wellen im ganzen koerper aus, laesst ihn in der einheit von innen und aussen schwingen.

in diesem zustand des friedens naeherte ich mich der felsengruppe. auch wenn ich ihr vielleicht schon einmal begegnet sein mochte, so offenbarte sie sich mir als gaenzlich neue erscheinung. schwarz und schmal reckten sich die einzelnen felsen wie verkrueppelte zeigefinger in den himmel, doch zu kurz waren sie, um loecher in die wolken zu bohren.

ruhig bewegte sich etwas weisses zwischen den felsen. es erregte meine aufmerksamkeit, ich gehorchte meinen instinkten und hatte die konturen schon bald als das identifiziert, was in meinem gehirn unter der bezeichnung falke abgelegt ist. vorsichtig naeherte ich mich dem vogel und war schon ganz gefesselt von seinem leuchtenden gefieder. wie war es erst, als mich sein scharfer blick aus dem klaren auge traf! da legte sich ein funkenspruehender zauber auf meine ganze seele, verwandelt ward ich im selben augenblicke, dass ich mich nicht mehr kannte. meine arme hatten sich zu fluegeln ausgewachsen, meine fueße wurden zu krallen, ein schnabel kruemmte sich an nases statt. so wurde ich also ein falke, hob zum fluge an und stuerzte mich dann in die felsen. dadurch aufgeschreckt, entwandt sich der weisse falke mit einem schrei in die wolken. noch lange durchzitterte das echo die luft und fegte wie ein harter wind durch meine federn.

als ich bemerkte, dass ich so alleingelassen werden musste, war mir die ganze lust am vogelsein schon gruendlich vergangen. ich suchte mir einen platz und landete meinen koerper weich im sand. bald schon hatte ich wieder eines menschen form angenommen und setzte vor mir schritt fuer schritt heimwaerts.

heute noch wundere ich mich oft ob dieser unglaublichen begebenheit.

© 2005 by Arne-Wigand Baganz

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