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Das Treibhaus

Wolfgang Koeppen

Bonn in den frühen 1950ern: Für Wolfgang Koeppen in seinem Roman "Das Treibhaus" (1953) ein Ort und eine Zeit der Restauration. In ihr steht isoliert der Protagonist Keetenheuve, ein sozialdemokratischer Abgeordneter im Bundestag, der einst aus seinem Londoner Exil heraus die Herrschaft des Nationalsozialismus bekämpfte, und nun gewahren muss, dass das gesellschaftliche Treiben, das schnöde Spiel des Lebens, auch in der neuen Zeit viel besser ohne ihn abläuft, obwohl ja Keetenheuve noch immer der eifrige Bannerträger menschlicher Werte ist... So zeigt ihn Wolfgang Koeppen engagiert gegen die eilig forcierte Wiederaufrüstung der Bundesrepublik und auch den Bau billiger Arbeiterwohnungen mit viel zu dünnen Wänden, doch der Ideal-Politiker Keetenheuve stößt dabei selbst unter seinen Parteigenossen kaum auf groß zu nennende Liebe. Schlimmer noch, legt man ihm ein neues Exil nahe: Guatemala. Dort könne er sich unter verstaubten Palmen diplomatisch betätigen, fernab der nüchtern-realistischen Geschäftigkeit, die der blitz-artigen Gespensterflucht und dem durch sie hervorgerufenen Vakuum zur Stunde Null bald folgte.

Keetenheuve ist ein einsamer Intellektueller, er ist ein besonders einsamer, frisch verwitweter Intellektueller. Er leidet am ungerechten Schicksal des moralisch Aufrechten, keine Anerkennung für sein edles Wesen und Tun zu erhalten und dabei noch zum Hohn den gewaltigen Strom der Mittäter und -läufer an sich vorüberziehen zu sehen: einen Strom, der sich gar nicht schnell genug über die Delta von Wirtschaft und Macht in neue Wohlstandsmeere ergießen kann. Ein paar große Namen hat man nach dem Untergang des tausendjährigen Reiches von den Tafeln gewischt, die der mittleren und kleinen Verbrecher stehen schon wieder in neuem Glanz. Nicht anders als auf dem Gebiet der BRD nach 1945 ist es in der ehemaligen DDR nach 1989 gelaufen. Gewissenlose Täter, perfide Kommunisten, die Menschenleben planmäßig zerstörten, genießen unterstützt durch viel zu großzügige Renten einen angenehmen Lebensabend, den sie gern mit Geschichtsfälschung verbringen, während die Opfer das Nachsehen haben.

Koeppen beschwört in seinem Roman mehrfach die titelgebende Metapher des Treibhauses, in welchem die Bundesbürger gegenwärtig schwitzen, der Schmutz der Vergangenheit ist ihnen dabei vielleicht schon ein wenig von der Haut gerieselt oder hat auf ihr ein paar recht dunkle Fahnen gezogen, aber Keetenheuve erfriert. Nach und nach. Auch hinter dem Eisernen Vorhang scheint kein Licht, gibt es keine Wärme: im Gegenteil. Es bleibt nichts zu hoffen. Der Intellektuelle hat in der Postmoderne gesellschaftlich ausgespielt, und das ist nicht einmal ein besonders bedauernswerter Zustand, da der Intellektuelle ja, so bald er die Massen zu mobilisieren weiß, diese doch nur in rauschende Blutfeste stürzt. Es bleibt den Geistesherren also nur, wenn keine Hoffnung, dann ehrliche Bescheidenheit.

"Das Treibhaus" ist weder schön noch erbaulich, wie könnte es dies bei seiner Thematik auch sein. Es gehört als letzter Band zu Koeppens "Trilogie des Scheiterns". Die Satzformationen sind nicht mehr so üppig ausgestaltet wie in "Tauben im Gras", dem ersten Teil der Trilogie, die Kunstverliebtheit, das Erwähnen von als solche erachteten Säulen der Menschheit ist zurückgetreten, die boden-farbenen Heidegger und Jünger haben sich durchgesetzt und lassen sich nichts mehr anmerken, die fast schüchterne Schilderung von Menschen gleichgeschlechtlicher Orientierung als Bildner von unterläufigen Gegenströmungen ist geblieben. Alles in allem aber waltet ein großer Überdruss in dem Buche und der merkliche Drang des Autoren, mit ihm und seinem armen Helden schnell fertig zu werden. Wer wird es ihm --- vergelten?

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2009-04-06)

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