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Über die Liebe

Stendhal

"Über die Liebe" - welch ansprechender Titel! Noch schöner klingt er im französischen Original: De l´amour. Stendhal alias Henri Beyle (1783-1842) hat ihn seinem Essay, der hier nun besprochen werden soll, verliehen.

"Ich suche mir Klarheit zu verschaffen über diese Leidenschaft, deren reine Abwicklung immer den Reiz des Schönen hat." - so lautet der erste Satz des ersten Kapitels - er zeigt dem Leser auf, was der Autor zumindest zu verfassen beabsichtigt hatte, nämlich eine philosophische Abhandlung über die Liebe. Diesem Vorsatz bleibt Stendhal auf den ersten Seiten auch treu. Dabei entwickelt er die Theorie von der Kristallisation, sie soll die "Tätigkeit des Geistes, der bei allem, was sich ihm darbietet, die Entdeckung macht, daß das geliebte Wesen neue Vorzüge hat" sein. Sieben Stadien der Liebe macht Stendhal aus: 1. Die Bewunderung 2. Das Feststellen der Lust 3. Die Hoffnung 4. Die Liebe ist zum Leben erwacht 5. Erste Kristallisation 6. Der Zweifel entsteht 7. Zweite Kristallisation.

Wenig später artet alles in dieses breitangelegte, mitunter jedoch recht charmante Geschwätz, welches das ganze Buch durchzieht, aus. Links und rechts bekommt man Stendhals Liebes-Anekdoten um die Ohren geschleudert, oft fehlt ihnen die Pointe, um sie zu einem erträglichen Schluss zu bringen. Was wir da lesen, sind vor allem die durch Auswechseln der Namen, Orte und Zeiten entstellten Erlebnisse des Herrn Stendhal höchstselbst. Sie bilden den eigentlichen Inhalt des Buches, ihnen zugrunde liegt eine 6-jährige nie erfüllte leidenschaftliche Besessenheit Stendhals, Mathilde war ihr Name ---

Auch wenn uns Stendhal im zweiten Teil des Buches allerhand von den Unterschieden in der Liebe in Italien, Spanien, den VSA usw. usf., die er sich manchmal nur aus Büchern angelesen hat, erzählen will, er möchte eigentlich nichts anderes, als seinen Mathilde betreffenden von ihm ganz richtig als Krankheit bezeichneten Wahnsinn verarbeiten. Eine strenge Wortdiät wäre dem Autoren und damit dem Werk dabei jedoch sehr gut bekommen. Stendhal hätte sich auch wesentlich mehr Mühe bei der Strukturierung der Inhalte geben müssen, so ist das durchaus ambitionierte Projekt tatsächlich nur ein Versuch geblieben, der nicht zu selten dazu animiert, Seiten zu überschlagen, aber immerhin von der verheerenden Wirkung zeugt, welche die Liebe auch auf einen durchaus regen und starken Geist auszuüben weiss. Gelegentliche Höhepunkte wie der folgende entschädigen den Leser dennoch für seine Aufopferung, seine Mühen:

"Von dem Augenblick an, da man liebt, sieht selbst der Klügste einen Gegenstand nicht mehr so, wie er ist. Er schätzt seine eigenen Vorzüge zu niedrig, die geringsten Gunstbezeichnungen der Geliebten zu hoch ein. Furcht und Hoffnung nehmen im Nu etwas romantisches an. [...] Etwas Eingebildetes wird, weil es auf sein Glück einwirkt, für ihn zu etwas Wirklichem".

Diese Rezension schrieb:
Arne-Wigand Baganz (2005-03-24)

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