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Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

koenig narcissus

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guten tag! guten tag! kennen sie mich? sie kennen mich! erst kuerzlich las man doch von mir in einem artikel des kleinlaendschen dorfkuriers, wo man ueber mein großartiges gewese redete, das ich in einem kleinen schuppen veranstaltet habe. oh, sie erinnern sich nicht? da haben sie nun doch allerhand verpasst. bedauernswert, sehr bedauernswert, aber sicher werden sie dennoch meinen namen kennen? --- oh, nein, das haette ich nicht gedacht. bleiben sie dort hinten stehen, ja, am ende des saales, betrachten sie mich ein wenig, bewundern sie mich. sehe ich nicht gut aus? und wie finden sie meine goldene krone, meine roten lackschuehchen? ja, da bleibt ihnen doch der mund offen stehen. weil sie es sind, nur weil sie es sind - mein name ist koenig narcissus i., und seien sie so frei, erzaehlen sie es ruhig den menschen, die sie treffen, weiter. es soll durchaus kein geheimnis bleiben. nun, einen moment, ich muss, sie werden verstehen, kurz einen blick in meinen spiegel werfen. ja, so geht es. ich bin noch da, bin noch so schoen wie vor zwei oder drei minuten. man kann nie wissen, wirklich nicht - man kann nie wissen. nur der thron bleibt sich wohl ewig gleich. mein thron im leeren saal. hey da! diener - wo steckt ihr nur. die alten musste ich doch alle erst gestern entlassen. ungehorsam. grober ungehorsam gegen die majestaet. dabei war ich zu ihnen nicht nur wie ein freund - nein! ich habe sie auch meine freunde genannt. aber dass man nur undank fuer alle naechstenliebe erntet, ja, das brauche ich ihnen wohl nicht erzaehlen. bleiben sie nur dort hinten stehen und genießen die augenblicke, meinen anblick. es wird ihnen sicher wohl bekommen. gut, gut - da naht ja schon einer der neuen diener. etwas liederlich scheint er mir gekleidet, er muss sich noch ein wenig an die herrschenden normen gewoehnen. meine normen - natuerlich. welche denn sonst? hoere ich sie da hinten kichern? das moechte ich nicht gehoert haben, ich habe es nicht gehoert. bleiben sie nur ganz still stehen. da juckt es mich in meinen roten schuehchen. mein leben ist wahrlich kein einfaches, aber ich leide fuer die ganze menschheit, wie einst dieser gottessohn, nach dem man gar die jahreszahlen vor seiner zeit benennt. der diener will mir etwas sagen. dann trete er doch an mich heran und fluestere in mein ohr. ah. ahja. ja. meine frau, ja die sortiert mir im keller die kohlen. eine kohle auf die andere, jeweils einhundertfuenfzehn stueck in die hoehe, dreihundertfuenfundsiebzig stapel in die breite und oft faellt alles wieder um. wenn sie nie mit ihrer arbeit fertig wird, soll mir dies nur recht sein, bleibt mir dann doch um so mehr zeit, mit meinen alten haenden nach den jungen roecken zu greifen. nein, nein - ich habe ihre einwaende nicht gehoert. ich nehme mir bloß, was mir zusteht. ich habe so einiges durchgemacht - es soll nicht umsonst gewesen sein! und immerhin, ja, was glauben sie eigentlich, ich bin doch ein kuenstler. holen sie sich nur diese ausgabe des dorfkuriers, da steht alles drin. alles. ich hoere sie wieder ihr gemeines lachen lachen. sie stechen mir direkt ins herz, sie zerren an meiner krone, sie spucken auf meine schuehchen. ich bin ein guter mensch, aber wer nicht meiner meinung ist - mit dem kenne ich kein pardon, verzeihen sie bitte, aber sie hoeren von meinem anwalt. der ist in guter uebung, der ist wie eine geoelte maschine, erfahren in tausenden von einsaetzen - und sie wissen doch sowieso, dass sie nicht im recht sind. so, auch der zweite neue diener ist angetreten, das freut mich sehr, soll er mir doch ein wenig die schuehchen putzen, ich sehe sie so gern feuerrot glaenzen. ja, das ist fein. ein kurzer blick in den spiegel, nur ein kurzer - die welt ist in ordnung. ich liebe sie, ich liebe mich. und, was stehen sie denn noch immer da hinten herum? machen sie sich fort - fort, fort - die audienz ist vorbei. keine kritik, sparen sie sich ihre worte. ich weiss, was ich kann. ich bin ein kuenstler. hey, diener zwei, mein freund, diener zwei, sei so gut, auf meinem rechten schuehchen, da hat sich wohl ein spinnwebe verirrt!

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