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Am Grab von Ulrike Meinhof

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Das Grab von Ulrike Marie Meinhof auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof III in Berlin (Juli 2023, Collage)

Einige Gedanken zu der komplexen, tragischen und zugleich verbrecherischen Persönlichkeit der Kommunistin, Kolumnistin und Terroristin Ulrike Meinhof

Drei Torbögen führen durch den Haupteingang des Dreifaltigkeitsfriedhofes III in Berlin Mariendorf, über dem mittleren, der zugleich der größte ist, prangt der Schriftzug “Friedhof der Gemeinde zum Heiligen Kreuz” in goldenen Lettern auf einem schwarzen Bogen. Etwas abgelegen am Rande zur Eisenacher Straße hin befindet sich das bescheidene Grab der Kommunistin, Kolumnistin und Terroristin Ulrike Meinhof. Eine Grabplatte liegt nahezu eben auf der Erde, schaut, als wäre sie zu kraftlos, nur einige wenige Grad nach oben. Auf ihr steht in vermutlich ausgeblichener Kleinschrift der vollständige, eingravierte Name der Toten: ulrike marie meinhof, darunter die Daten 7.10.1934 – 9.5.1976, Geburt und Tod. Viele Gemeinden in Deutschland hatten sich 1976 geweigert, die sterblichen Überreste der berühmten Frau, die sich am Muttertag in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim mit einem aus Handtuchstreifen geknoteten Strick am Fenstergitter erhängte, zu beherbergen, Mariendorf jedoch nicht – und so liegt diese berüchtigte “Marie” dort nun seit bald 50 Jahren auf einem Friedhof, jedoch wurde erst im Jahr 2002 das eingeäscherte Gehirn bestattet, das bei einer ersten Obduktion 1976 entnommen und auf den Gehirnschaden, den die Meinhof hatte, untersucht worden war.

Marie, Mariendorf, Marienkäfer
Im Netz findet sich ein Foto der Grabplatte mit einem darauf abgestellten steinernen Marienkäfer. Ich fragte mich zuerst: Wieso sitzt er dort? Aber dann dachte ich mir, dass wohl jemand mit dem Wort Marie gespielt hat: Ulrike Marie, Mariendorf, Marienkäfer. So viele Marien – und die berühmteste von allen, an die ich schließlich denken muss, war eine Mutter – die Mutter Jesu. Auch Ulrike Marie Meinhof war eine Mutter – die Mutter von zwei weiblichen Zwillingen. Wenn man es werten möchte, dann ist es vielleicht ihr positiver Beitrag zum Leben, diese Kinder geboren zu haben, daneben gibt es kaum Licht, viel Dunkelheit: wühlerischen Meinungsjournalismus im Sinne der DDR für das Politmagazin konkret, immer weitere Radikalisierung, das Wort ist der wütenden Frau nicht mehr genug, es ruft nach Gewalttaten, es kommt zum Abdriften in die Illegalität.

Schwer, schwer, unheimlich schwer …
Ende 1969 hatte Ulrike Meinhof der Filmemacherin Helma Sanders-Brahms ein Interview gegeben, das sie rauchend und ruminierend in Schwarz-Weiß zeigt, wie sie von Familien und Kindern stammelt und wie “schwer, schwer, unheimlich schwer; schwer, unheimlich schwer” man es als Frau habe, sich politisch zu betätigen. Die Kinder störten Meinhof bei der politischen Arbeit – und im Nachhinein sieht das Interview wie eine Inszenierung aus, hört es sich wie eine Rechtfertigung an, warum sie ihre eigenen schließlich verlassen würde: Wenig später, im Zuge der Befreiung der Kaufhausbrandstifter Andreas Baader und Gudrun Ensslin, ging sie in den Untergrund. Auch wenn sie nicht ganz wie geplant verlief, sieht es doch wie eine bewusste Wahl aus. Ulrike Meinhof hat sich für den Terrorismus und gegen ihre eigene Familie, gegen ein bürgerliches Leben entschieden. Solche Entscheidungen können einen herausfordern, weil man sie verstehen will – und treiben einen, so viele Fakten man auch anhäufen mag, schließlich nicht selten in die Spekulation. Für mich sieht es so aus, als hätte Ulrike Meinhof ein unglückliches Leben geführt, obschon sie die Mutter zweier Kinder und in ihrem Beruf als Journalistin durchaus erfolgreich war; an diesem unglücklichen Leben sollte nun die Gesellschaft, der Kapitalismus schuld sein, der Kommunismus hingegen, damals noch immer recht beliebt bei vielen jüngeren Leuten, obwohl er bereits Millionen Opfer gefordert hatte, war für Ulrike Meinhof die Verheißung des Glücks.

Schüsse – Zurückschüsse
“Natürlich kann geschossen werden”, erklärte sich Meinhof Mitte 1970 – und, das dürfen wir für sie gern posthum ergänzen, wo außerhalb des Rechts geschossen wird, schießt der wehrhafte Staat zurück; wo geschossen wird, werden Menschen verletzt und sterben. Das ist die Logik der Sache. Wer wie die Meinhof die Waffe in einem aussichtslosen Kampf ohne stichfeste Rechtfertigung erhebt, muss damit rechnen, in diesem ehrlos unterzugehen. Wer einen solchen Kampf beginnt, hat den Selbstmord quasi von Anfang an eingepreist, denn schließlich ist er selbstmörderisch, selbst wenn einen irgendwann fremde Kugeln treffen sollten. Vielleicht ist es das, was die Meinhof wollte, denn sie kann kaum so dumm gewesen sein, zu glauben, dass der maßgeblich von ihr initiierte Terrorismus zum Sieg des Kommunismus in der BRD führen würde. Meinhof saß vor der Gründung der RAF in einem Loch, ihre Ehe war bereits gescheitert – und sie hatte beschlossen, einfach noch tiefer zu graben: Bis zur brennenden Hölle!

Künstlerische “Würdigungen”
Ulrike Meinhof als komplexe, tragische und zugleich verbrecherische Persönlichkeit bewegt die Gemüter, da gibt es beispielsweise immer neue Lieder, die sich mit ihr beschäftigen oder ihr einfach nur gewidmet sind, unter anderem das dümmlich-naiv-sentimentale “Für Ulrike” der ostdeutschen Band AufBruch (1997), eine Echtzeit-Komposition mit dem Titel “Schwer… unheimlich schwer” von Georg Hajdu aus dem Jahr 2009 oder feine, spanisch anmutende Gitarrenklänge von einem Künstler namens Quiubo, die erst 2021 für eine “Ulrike Meinhof”-Single eingespielt worden sind. Auf dem Cover der digitalen Single ist das Meinhof-Grab mit roten Blütenblättern bestreut abgebildet.

Ein Leben lang auf der falschen Seite
Der Meinhof-Mythos ist schlimmster Kitsch und eine die Wirklichkeit verkennende Verharmlosung. Was an dieser Frau soll bewunderungswürdig gewesen sein? War sie eine kluge Denkerin? Kämpfte sie für hehre Ziele? Kann sie uns ein Vorbild sein? Dreimal “Nein”.
Ulrike Meinhof stand fast ihr ganzes kurzes Leben lang auf der falschen Seite – auf der Seite des Kommunismus, der die Befreiung des Menschen nur anzustreben vorgibt, während er die Menschen real immer auf die widerwärtigste Weise in die Sklaverei führt, massenweise verletzt, seelisch verkrüppelt und tötet. Für diesen weltlichen Irrglauben hat Ulrike Marie Meinhof sogar ihre eigenen Kinder geopfert. Sie war ein besonders schwerer Fall: Aus ihrem privaten Unglück hat sich Ulrike Meinhof das Recht abgeleitet, andere Menschen unglücklich machen zu dürfen.

Faschistische Mobilisierung und Kontrolle
Meinhof war eine Autorin, die mit Worten umgehen konnte, ihre Texte jedoch sind meist inhaltlich und logisch schwach, trafen aber den damaligen linken Zeitgeist. Ihre konkret-Kolumnen sind unter dem Titel “Die Würde des Menschen ist antastbar. Aufsätze und Polemiken” ein Longseller im Wagenbach-Verlag, der sich auf seiner Webseite aktuell über 85.000 verkaufte Exemplare freut. Eine dieser Polemiken hat sich mit der Sendung “Aktenzeichen XY ungelöst” beschäftigt, welcher Meinhof damals attestierte, ein Test dafür zu sein, “inwieweit das Publikum auf faschistische Manier mobilisierbar und gleichzeitig kontrollierbar sei”. Drei Jahre nach Erscheinen dieser vollkommen überzogenen Kolumne, die symptomatisch für den Wirklichkeitsverlust ihrer Autorin ist, wird Ulrike Meinhof selbst eine in “Aktenzeichen XY ungelöst” gesuchte Person. Immerhin hat sie diesen einen ihrer Feinde klar erkannt – das dürfen wir ihr also zugestehen. In ihren Methoden stand Meinhof dem Faschismus allerdings viel näher als der inzwischen verstorbene Macher der von ihr kritisierten Sendung, Eduard Zimmermann.

Unruhe auf dem Friedhof
Der 1897 angelegte “Dreifaltigkeitsfriedhof III” hat keine Zukunft. Auf Teilflächen wurden bereits Gräber abgeräumt, auf anderen die Bestattung ausgesetzt; als ich den Friedhof im Juli 2023 besuchte, sah ich daher auch einen Haufen mit zertrümmerten Grabsteinen, die noch gar nicht sonderlich alt waren, ansonsten war es schön grün, ruhig und überaus friedlich – so, wie es viel häufiger in Berlin sein sollte, aber die Pläne sehen anders aus:
Hier soll gebaut werden, allerdings sollen auch Grünflächen erhalten bleiben.

Was wird eines Tages mit dem Grab von Ulrike Meinhof passieren:
Wird es umziehen, oder wird es verschwinden – so, wie wir alle einmal verschwinden werden?
Es ist nicht wichtig, gar nicht wichtig.
Einzig und allein wichtig ist, ein guter Mensch zu sein, solange man lebt und das Leben zu achten:
Das fremde wie das eigene.

Veröffentlicht am 25.07.2023

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