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Ein Unglück kommt selten allein

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Mit Sprüchen ist es so eine Sache: Man kennt viele und mag sich manchmal fragen, wieviel Wahrheitsgehalt in ihnen steckt, dabei ist es ja relativ einfach zu erklären, wie es sich mit ihnen verhält. Man erlebt etwas und während man das Erlebte einzuordnen versucht, kommen einem diese allgemeinen Sprüche in den Sinn, also zum Beispiel “Ein Unglück kommt selten allein”. Ich habe letztlich gleich zwei empirische Nachweise erhalten, dass dieser Spruch offenbar stimmt – wenn er denn stimmt, d.h. auf die vorgefundene Situation im Nachhinein passt.

Da waren also neulich diese riesigen Maikäfer auf der Straße, ich habe bestimmt seit Jahren keine mehr gesehen gehabt, sie lagen in kurzen Abständen voneinander entfernt, zwei waren bereits zertreten, der dritte strampelte, möglicherweise auch dem Tod schon sehr nahe, auf seinem Rücken, um wieder auf die Beine zu gelangen. Ich habe ihm dann mit einem Stöcklein aufgeholfen.

Den zweiten Nachweis für die Richtigkeit des Spruches fand ich gestern. Morgens begegnete mir ein kleines zerbrochenes Spatzen-Ei auf dem Balkon, von dem nur noch die Hälfte übrig geblieben war; wenig später war auch diese verschwunden. Daneben lag ein kleines nacktes Spatzen-Embryo von vielleicht 3 Zentimeter Länge. Kopf, Hals, Rumpf – das alles in Rosa – konnte man schon gut erkennen, auch zwei dunkle Punkte, die Augen, und die Kopföffnung umrahmt von einer rein-weißen, gefalteten Raute, dem Schnabel. Mittags dann sah ich einen kleinen Jungspatzen, der traurig und verloren in herzbewegendem Klagen auf dem Bürgersteig herumhüpfte. Sein Schnabel war merkwürdig weiss gefärbt, niemand kümmerte sich um ihn, dabei schien er so hilfsbedürftig, wie frisch in das schreckliche Sein gestürzt, in dem er sich nun beweisen musste und als zu schwach erwies. Die anderen beiden älteren Spatzen, die sich in der Nähe aufhielten, fühlten sich in der Sache nicht zuständig. Abends fand ich dann den dritten unglücklichen Spatzen auf einem Fahrradweg. Den Verformungen seines kleinen Vogelkörpers nach zu urteilen, hatte er es nicht rechtzeitig geschafft, sich in Sicherheit zu bringen und war geradewegs von einem Fahrradreifen überrollt worden.

Zeuge weiterer Unglücke bin ich in den letzten Tagen nicht geworden, aber das genügt ja. Ich sehe den oben erwähnten Spruch also bestätigt und darüber hinaus auch noch, dass aller schlechten Dinge tatsächlich drei sind – wenn es denn drei sind.

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