Ich kaufe nur noch ungern herkömmliche Bücher, weil ich einfach keinen
Platz mehr dafür bei mir in der Wohnung habe und es auch nicht
fertigbringe, mich von einigen Exemplaren zu trennen, die ich
höchstwahrscheinlich nie wieder anrühren werde und die auch nicht einmal
positiv zum Wohnbild beitragen; aber nicht alles ist als eBook verfügbar
und gerade wenn es sich um Lyrik handelt, die man nicht nur von vorn bis
hinten sondern auch von hinten nach vorn und kreuz und quer liest,
bevorzuge ich papierne Druckerzeugnisse. Digitales Blättern ist schlichtweg
kein Erlebnis, analoges ist unbedingt eines. Unter diesen Vorzeichen
bestellte ich mir neulich scheinbar antiquarisch einen bibliophil
gestalteten Gedichtband: Buntes Hardcover, illustriert, typographisch
kreativ – viel Weißraum auf unter 100 Seiten, gedruckt im letzten
Jahrtausend. So ansprechend kann man Lyrik transportieren.
Voller Absicht wechsele ich in das Präsens:
Bereits einen Tag später finde ich einen festen braunen Kartonumschlag in
meinem Briefkasten. “BüWa” steht in der linken oberen Ecke. Das also, habe
ich bei der Post nachgeschlagen, macht man jetzt so. Früher hieß es noch
allgemeinverständlich “Büchersendung”, heute soll es “BüWa” sein, was sich
wie eine Abkürzung für “Bückware” anhört, aber tatsächlich für “Bücher- und
Warensendung” steht. Meinetwegen. Ein Papierschnipsel, auf dem unter
anderem ein QR-Code und “01.01.22” (ein schönes Datum!) aufgedruckt sind,
gibt sich als Briefmarke aus. Festgehalten wird er von drei vertikal
arrangierten, sich berührenden schmalen Tesa-Streifen, die viel breiter
sind, als sie sein müssten. Das kann man offenbar so machen. Absender und
Empfänger (also ich) sind in einer dünnen, an den Rand des Zerbrechlichen
laufenden Schrift angegeben: Alles kursiv und in Kleinbuchstaben.
Künstlerisch sieht es aus, sehr künstlerisch. Einen so gestalteten Brief
bekomme ich nicht alle Tage – und ich beschließe, den Absender zu googeln,
werde schon beim ersten Treffer auf Wikipedia verwiesen und lese dort in
der Biographie, dass es sich um den Herausgeber des von mir bestellten
Gedichtbandes handelt, der gar nicht gebraucht sondern neuwertig ist. So
verräterisch also, denke ich tief bewegt, kann die Handschrift eines
Künstlers auf einem festen braunen Briefkarton aussehen.