Aktuell
© 1999-2024 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Die Handschrift des Künstlers

Start > Artikel > 2022

Ich kaufe nur noch ungern herkömmliche Bücher, weil ich einfach keinen Platz mehr dafür bei mir in der Wohnung habe und es auch nicht fertigbringe, mich von einigen Exemplaren zu trennen, die ich höchstwahrscheinlich nie wieder anrühren werde und die auch nicht einmal positiv zum Wohnbild beitragen; aber nicht alles ist als eBook verfügbar und gerade wenn es sich um Lyrik handelt, die man nicht nur von vorn bis hinten sondern auch von hinten nach vorn und kreuz und quer liest, bevorzuge ich papierne Druckerzeugnisse. Digitales Blättern ist schlichtweg kein Erlebnis, analoges ist unbedingt eines. Unter diesen Vorzeichen bestellte ich mir neulich scheinbar antiquarisch einen bibliophil gestalteten Gedichtband: Buntes Hardcover, illustriert, typographisch kreativ – viel Weißraum auf unter 100 Seiten, gedruckt im letzten Jahrtausend. So ansprechend kann man Lyrik transportieren.

Voller Absicht wechsele ich in das Präsens:

Bereits einen Tag später finde ich einen festen braunen Kartonumschlag in meinem Briefkasten. “BüWa” steht in der linken oberen Ecke. Das also, habe ich bei der Post nachgeschlagen, macht man jetzt so. Früher hieß es noch allgemeinverständlich “Büchersendung”, heute soll es “BüWa” sein, was sich wie eine Abkürzung für “Bückware” anhört, aber tatsächlich für “Bücher- und Warensendung” steht. Meinetwegen. Ein Papierschnipsel, auf dem unter anderem ein QR-Code und “01.01.22” (ein schönes Datum!) aufgedruckt sind, gibt sich als Briefmarke aus. Festgehalten wird er von drei vertikal arrangierten, sich berührenden schmalen Tesa-Streifen, die viel breiter sind, als sie sein müssten. Das kann man offenbar so machen. Absender und Empfänger (also ich) sind in einer dünnen, an den Rand des Zerbrechlichen laufenden Schrift angegeben: Alles kursiv und in Kleinbuchstaben. Künstlerisch sieht es aus, sehr künstlerisch. Einen so gestalteten Brief bekomme ich nicht alle Tage – und ich beschließe, den Absender zu googeln, werde schon beim ersten Treffer auf Wikipedia verwiesen und lese dort in der Biographie, dass es sich um den Herausgeber des von mir bestellten Gedichtbandes handelt, der gar nicht gebraucht sondern neuwertig ist. So verräterisch also, denke ich tief bewegt, kann die Handschrift eines Künstlers auf einem festen braunen Briefkarton aussehen.

Veröffentlicht am 14.01.2022

© 2022 by Arne-Wigand Baganz

Aufrufe: 301

Ihre Bewertung dieses Textes: