“I’ve been on the top. I’ve been on the bottom. Both places are empty”.
“Nico 1988” (2017) ist ein Biopic von Susanna Nicchiarelli über das letzte
Lebensjahr der Sängerin Christa Päffgen (*1938) alias Nico, gespielt von
Trine Dyrholm. In dem Film sieht man Nico größtenteils mit ihrem Manager
und ihrer Band etwas planlos in einem Mini-Bus durch Europa reisen, von
Gelegenheitsauftritt zu Gelegenheitsauftritt. 1988 ist das Ende ihres
kurzen und doch sehr bewegten Lebens: Nico hat ihren Vater als kleines Kind
im Krieg verloren, den Bombenhagel und Untergang Nazi-Deutschlands erlebt,
sie wurde mit 13 Jahren von einem GI vergewaltigt, mit 15 vom
Modefotografen Herbert Tobias als Model entdeckt, von da an ging es für sie
gesellschaftlich nach oben - ganz weit nach oben. Sie wurde in den USA
“Popgirl ´66”, Andy Warhol holte sie für die Aufnahmen zu “The Velvet
Underground & Nico” ins Studio, was ihr bis heute anhaltenden Ruhm
einbrachte. Ihr deutscher Akzent, ihre tiefe, immer etwas zittrige,
teilweise plärrige und nie besonders treffsichere Stimme wurden zu ihrem
musikalischen Markenzeichen, optisch glänzte sie mit ihrem langen blonden
Haar, den hervorstechenden Wangenknochen, den oft durch Drogenkonsum riesig
erscheinenden Augen, die bis in die letzten Lebensjahre von Mascara
eingerahmt waren. Aus dem blonden Model-Engel wurde dann ein
schwarzgefärbter Todesengel, mager zuerst für den Beruf, später aufgrund
der Heroin-Sucht. In ihrer Solo-Karriere leuchtete sie mit ihren Liedern
die tiefsten Tiefen menschlichen Seins aus; ihre Alben (“The Marble Index”,
“Desertshore”, “The End ...”, “Camera Obscura” u.a.) sind überdauernde
Meilensteine und Vorreiter des Gothic- und Dark Wave-Genres.
Trine Dyrholm spielt die Hauptdarstellerin in “Nico 1988” ganz wunderbar.
Ich hatte keine Hintergrundinformationen zu dem Film, als ich ihn sah und
mich schon länger nicht mit der Sängerin befasst, so dass ich mich
tatsächlich vergewissern musste, dass es keine Originalaufnahmen waren. Am
Gesang - Trine hat alle Lieder für den Film selbst eingesungen - wurde es
dann klar: Es war nicht Nico, da die Schauspielerin eine bessere Sängerin
ist. Überragend ist sie in der Interpretation von “My heart is empty”, die
im Film auf einer Bühne in der damaligen Tschechoslowakei aufgeführt wird.
Ich wünschte, das Lied würde niemals enden, so sehr bewegt mich seine
getriebene, energievolle Emotionalität aus Abgründigkeit, Depression,
Frustration und Aggression:
My heart is empty · But the songs I sing · Are filled with love for you
Liebe. Im Film sehen wir die tiefe, manchmal etwas verstörende Liebe der
Mutter zu ihrem Sohn Ari. Wenn ich mich recht entsinne, wird Ari, ein Kind,
das Nico mit Alain Delon zeugte, in den Film durch historische
Originalaufnahmen eingeführt: Wie er als Knirps verlassen unter
zugedröhnten Erwachsenen von Glas zu Glas wandert und den vermutlich darin
enthaltenen Alkohol - das Gesicht verziehend - probiert. Dass dieses
verträumte Kind später einmal einen Selbstmordversuch unternehmen wird, den
uns auch “Nico 1988” zeigt, wundert daher nicht sonderlich.
Der Film ist liebevoll gemacht, auch wenn Kenner der Materie etliche
Details bemängeln - aber für die Details gibt es schließlich Bücher.
Irgendwie ist es ein Wunder, dass “Nico 1988” überhaupt gedreht wurde. Wie
so viele Filme, habe ich es damals verpasst, ihn im Kino zu sehen. Mich
berührt es, dass er das Andenken an die beeindruckende Persönlichkeit, die
Nico war, bewahrt und auch jüngeren Menschen zugänglich macht. Nico Icon.