Offen, warmherzig und freundlich, als hätte sich die ganze Liebe des Universums in ihm vereinigt, schaut ein Storch in seinem schwarz-weißen Kleid auf dem frisch gepflügten Boden, inmitten kräftiger brauner Erdschollen, die dottergelbe Marschrutka an, die auf der Straße langsam an ihm vorbeizieht, um am Ende zum Vorortbahnhof von Lwiw zu gelangen.
Wenn alles auf dieser Welt einem Plan folgen sollte, kann diesen Storch nur ein wohlwollender Gott genau dorthin gestellt haben, um die Leute zu erfreuen und ihnen die frohe Botschaft zu übermitteln: Das Leben hört nicht auf, es erneuert sich, kommt immer wieder. Der schmale und lange orange Schnabel des lieblichen Vogels zeigt nahezu senkrecht nach unten, die vergnügt strahlende Sonne spiegelt sich in seinen dunklen Augen. Ganz still stehend, grüßt er stumm die aufmerksameren Gäste in dem an ihm vorbeifahrenden Fahrzeug, von denen viele aus dem Ausland zu ihren Familien heimkehren. Sie haben die letzte trennende Staatsgrenze überwunden, haben ihre Papiere, Gesichter und Taschen prüfen lassen und sind nun wieder in ihrer Heimat: Ihrer einzigen Heimat, denn was das Leben auch mit ihnen spielt, und was auch immer sie ihrerseits mit dem Leben spielen, sie werden nie von ihr loskommen – ganz gleich, wohin es sie treibt oder wohin sie getrieben werden. Sie haben eine Mutter, einen Vater, eine Erde – eine Heimat.
Das zarte Rosa, das leuchtende Weiß, das satte Gelb der Blüten, ein maßloser Schaum der Farben verrät den übermütigen Rausch, in dem sich die heilige Natur in diesen Tagen des dritten Kriegsfrühlings befindet – doch schon vor elf Jahren war es ähnlich, war der Frieden von den Russen zerstört worden, die Krim besetzt, die militärische Übernahme von Donezk, Luhansk in vollem Gange, das Land im Schock, zur Gegenwehr bereit, in der Gegenwehr längst aktiv …
Weiß-blau-roter Alptraum, wann wirst du enden?
Wann wird das Blut aufhören zu fließen?
Wann wird die Gerechtigkeit
unter diesem Azulhimmel wiederhergestellt
und der mordhungrige Doppeladler vernichtet werden?
Sage mir doch: Wann?! Wann?!
Birken tragen empfindliche erste Blätter, mattgrün an dürren Zweigen, ihre Stämme leuchten samtweiß oder schimmern wie Perlmutt, als sagten sie: Streichelt mich! Ich werde es mir gern gefallen lassen.
Grell oder dunkel lackierte, benzinbetriebene oder elektrische Rasenmäher, geschoben, getrieben von alten Männern oder ganz jungen Burschen, zerstören die natürliche Ruhe und hinterlassen grüne Wüsten des Gleichschnitts, künden von einer neuen Zeit, von westeuropäischen und US-amerikanischen Moden, die auch hier Einzug halten – wer hielte sie noch auf?
Der Marschrutkafahrer lenkt seinen Wagen durch die kleinen Ortschaften, über das Land, vorbei an Feldern, Hügel hinauf und hinab. Zufrieden schauen seine wässrig-blauen Augen aus seinem mageren Gesicht, sein Körper besteht aus Muskeln und Knochen, Muskeln und Knochen. Er ist schon ganz andere Touren als diese gefahren, in ganz anderen Gegenden, unter ganz anderen Umständen, und vielleicht wird er dir eines Tages davon erzählen, aber jetzt ist er froh, dass er schweigen und sich auf seine so viel einfachere Aufgabe konzentrieren kann …
“Nicht herumschmutzen”, weist ein Aufkleber die Passagiere im Inneren des Fahrzeugs an, niemand bricht diese einleuchtende Regel. An einer Seitenscheibe hängt ein weiterer Aufkleber, schmuckvoll umarmen sich auf ihm die schwarz-rot dargestellten Worte Slawa Ukrajini, Herojam Slawa zum ukrainischen Dreizack.
Oh, du tiefstem Leid standhaltende,
Oh, du unzerbrechliche Ukraine!
Ein schlanker Uniformierter geht mit einem riesigen schwarzen Telefon in der rechten Hand der unsichtbaren Gegenseite, die auch ein Telefon an eines ihrer Ohren halten wird, etwas erzählend auf einem Bürgersteig entlang. Was mag es sein?
An der nächsten Haltestelle, die auf einem erst kürzlich gepflasterten Platz liegt, sind viele Steine schon tief in den Boden gesunken und bilden zahlreiche Löcher, in denen sich bei Regen das Wasser sammelt. Ein Stück weit weg spielen zwei braun-schwarze Straßenhunde miteinander, sympathische Wuffel, die sich mit erhobenen Schwänzen aufgeregt umschnüffeln. Andere Fahrzeuge und Menschen kommen oder entfernen sich, ein jeder hat etwas zu tun.
Die Fahrt geht weiter. Die frommeren Passagiere bekreuzigen sich inniglich, wenn sie Kirchen, Kreuze, Heiligenstatuen passieren. Ein Gotteshaus am Straßenrand wird ganz neu gebaut. Davor liegt das Skelett einer bald gülden bedeckten Metallkuppel, die darauf wartet, in die Höhe gehoben und richtig positioniert zu werden, damit sie allen weithin sichtbar eine Augenfreude abgibt.
Herr, segne und behüte dieses kräftige Land, das dir so eifrig dient!
Ein Veteran mit einer Kosakenfrisur steigt ein. Der rötlichen Farbe seiner Haut und deren Schwellungen sieht man an, was er an Gewohnheit besser lassen sollte. Auf einem seiner Arme zeigen sich laienhafte Tattoos, gezeichnet in den langen Stunden an der Front: Unförmige Wolfszähne, dunkle Dreiecke, bedecken die offen liegende Körperhülle und beginnen schon wieder zu verblassen.
Ein alter Mann mit einem sauberen Kopfverband, den er unter einem Basecap versteckt, betritt das Fahrzeug an der nächsten Haltestelle. Er ist nicht kriegsversehrt, er ist nur gestürzt, als er in anderen Umständen war, und doch umgibt ihn die Aura eines Helden, er genießt die fragenden Gesichter der Leute …
Drei gescheckte Hühner stolpern wild über ein Feld, das letzte hat seine Schwierigkeiten damit, den Anschluss zu den anderen zu halten, ein einzelnes wohlbeleibtes Mangalica-Schwein wälzt sich lachend eine Böschung hinab, steigt sie wieder hinauf und wälzt sich wieder herab; auf einem Mast ist ein großes Nest gebaut, in dem ein Storch die Konstruktion stehend prüft und in einigen wesentlichen oder unwesentlichen Details weiter verbessert. Vielleicht kennt er den Storch von vorhin auf dem Feld und gemeinsam sind sie ein Paar, das bald Junge haben wird?
Auf den kleinen Friedhöfen nahe der Straße die wiederholte Mahnung: Schwarz-rote und blau-gelbe Fahnen wehen immerfort über frischen und nicht mehr ganz so frischen Gräbern.
Oh, all diese unglücklichen Seelen!
In der Stadt tragen Scharen von Frauen, Kindern, älteren Männern ihre bunten Osterkörbchen verschiedensten Inhalts gefühlvoll durch die Straßen, stellen sich um die vielen grauen, weißen, roten Kirchen im Kreis auf, um diese Behältnisse weihen zu lassen.
Feierliche Musik erklingt aus den Häusern des Herrn, Glocken läuten sanft und silbern. Hier ist es merklich anders geworden, die Gesichter sind heller noch als im letzten Sommer, voller Hoffnung, etwas kaum vorstellbares wie Sieg liegt in der Luft, trotz allem, trotz allem, trotz der jüngsten schlimmen Massaker, auch trotz des mehrtausendfachen Wortbruchs der im Kreml sitzenden Berufsmörder, die erstmals einen Waffenstillstand von sich aus ausgerufen haben: Täuschung und Lüge – und doch, und doch! Das alles wird enden.
Und wirklich: Die Sirenen immerhin bleiben still dieser Tage, nur die allmorgendliche Gedenkminute um neun Uhr weckt die Spätaufsteher und erinnert an jene Helden, die das größte Opfer bereits brachten, damit es für die Bevölkerung überhaupt noch ein Aufstehen gibt.
Die Leute grüßen sich:
Christus ist auferstanden!
Er ist wahrhaftig auferstanden!