Aktuell
© 1999-2025 by Arne-Wigand Baganz

Ukraine  Eine Reise durch die Ukraine in 113 Gedichten  Ukraine

Der Wahnsinn der Größe

Start > Prosa > 2023

Größe, nichts als Größe: Ein weiter unfreundlicher Raum unter dem Schutz von Stacheldraht, Minen, Maschinengewehren, Panzern, Hubschraubern, Flugzeugen, Schiffen, Raketen, atomaren Waffen; ein Raum voller geknechteter Völker, deren Herr in einem Palast auf einem weißen Stuhl aus Knochen sitzt und sich von seinen zahlreichen Dienern aus goldenen Kelchen stets frisches Blut in seinen gierigen Rachen gießen lässt.
Mit Schädeln, sagt man, spielt er zuweilen Billard.
Größe, die sich selbst nie groß genug ist, die ständig in fröhlichere Gebiete hinein wachsen will, damit dort das Lachen endlich aufhört. Marschlieder sollen erklingen! Ketten rasseln. Tage sollen zu Nächten und zahllose Kerker für noch Widerständige gebaut werden. Daneben Schulen der Dummheit, in denen auswendig gelernt wird, was der Herr und seine geringeren Nebenherren, Kettenhunde, vorgeben.
Größe, die hungrig ist, geradezu süchtig nach Größe – Größe, die quälen, die foltern will – dass es spritzt, schreit und kracht.
Eine Größe, die sich vom Kleineren, vom Anderen provoziert fühlt, weil es ihr zeigt: “Da ist noch etwas auf der Welt außer Dir, das Du nicht bist”. Das muss negiert, vernichtet, verschlungen, einverleibt werden. Ein radikales Streben nach All-Einheit, das von tief unten mit rasender Gewalt kommt und mit seinen eisernen Fäusten alles kaputt schlägt, das sich ihm nicht gleich ergeben will. Keine Gnade und kein Verbrechen zu niedrig, um nicht begangen zu werden. Niemand wird verschont. Das ABC der Gräueltaten, man hat es gelernt und verfeinert. Uns jedoch verschlägt es die Worte, wenn wir nur daran denken.
Eine gewissenlose Größe, vollkommen gewissenlose Größe, die anderen ihre Sprache und Freiheit von Rechten aufzwingt. Sie selbst will alles und außer ihr soll nichts sein.
Ein gigantischer Betrug, eine ins Universum ausströmende Lüge, die auf allen medialen Kanälen reitet und Gehirne nachhaltig vergiftet. Wahr ist, was nützlich ist – oder nichts ist wahr und dem Stärkeren, Grausameren alles erlaubt. Vergangenheiten, die es nicht gegeben hat, werden erzählt, wahre Begebenheiten vertuscht oder verbogen.
Millionenfach reihen sich die ungesühnten Opfer, ungesühnten Sünden, aber die Vertreter und Diener der Größe wollen sie nicht sehen. Es hat sie nie gegeben, und wenn es sie doch gegeben hat, waren sie nötig, um die vergötterte Größe zu erhalten, zu nähren und noch weiter zu entfalten.
Gefangen in den eigenen Lügen, die, wenn man sie aufgäbe, dazu führen würden, dass das ganze billige Kartenhaus zusammenbricht, weil es keine Substanz hat, sondern eben nur eine Aneinanderreihung von Lügen ist, die von aktualer oder der Androhung von Gewalt zusammengehalten wird.
Aus der hohlen Größe geborener Stolz, der ebenfalls hohl ist, der sich schrille Bänder und schäbige, klappernde Medaillen ansteckt, Militärparaden abhält, mit blutigen Fahnen wedelt und betrunken stumpfsinnige Lieder singt: Skurrile Fassaden des Blödsinns, hinter denen dann das reine Grauen steckt, wenn man genauer hinschaut.
Fürchten sollen wir uns, aber wir fürchten uns nicht, denn mit uns leuchtet ein Licht in die Dunkelheit, das nicht erlischt.
Wir fürchten uns nicht.
   Wir fürchten uns nicht.
Mit uns leuchtet ein Licht in die Dunkelheit, das nicht erlischt.

© 2023 by Arne-Wigand Baganz

Aufrufe: 245

Ihre Bewertung dieses Textes: