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Ein paar Gedanken zu Thomas Bernhard

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Über den Anfang seines literarischen Schaffens, seine Biographie und den von ihm entwickelten Stil.

Auszudrücken, warum einem ein Schriftsteller besonders gut gefällt, ist manchmal schwieriger als man vor dem Versuch, es zu tun, annimmt, schließlich möchte man dabei nicht nur Gemeinplätze wie “er schreibt schön”, “er schreibt herrlich”, “er schreibt packend” usw. von sich geben. Geübte Literaturwissenschaftler tun sich da bestimmt leichter, allerdings sind das, zumindest wenn sie arbeiten, auch keine normalen Leser. Diesem Sezieren von literarischen Werken, das sie manchmal eindrucksvoll praktizieren, stand ich immer ziemlich skeptisch gegenüber: dem mehrmaligen Lesen, der genauen Analyse, dem Einnehmen unterschiedlicher Positionen, besonders gern aber der holistischen Draufsicht, dem Vergleichen mit anderen Stücken usw. usf.. In den Rezensionen, die ich früher schrieb, habe ich eher versucht, die Essenz eines Werkes aufzuspüren, ich habe nach herausragenden Stellen gesucht und vielleicht auch berichtet, wie mich ein Text beeinflusst hat. Was bei mir nach dem Lesen im Kopf hängengeblieben ist, stellt eine subjektive Wahrheit dar, die sich nicht zwingend mit dem decken muss, was objektiv in einem Text an Wörtern steht. Diese Wahrheit hat ihre Daseinsberechtigung – ein Text für sich genommen ist nämlich nichts, erst durch Leser wird er zu etwas.

Nach diese Vorworten wage ich mich an ein praktisches Beispiel:
Warum gefallen mir die Werke des Österreichers Thomas Bernhard (1931 – 1989) besonders gut?

Der Themenkreis, den Thomas Bernhard bearbeitet hat, ist gewiss nicht besonders umfangreich. Mir macht das nichts aus. Bernhards Debütbuch war ein Gedichtband mit dem Titel “Auf der Erde und in der Hölle”, der 1957 erschien; er blieb nicht der einzige, aber als Dichter ist Thomas Bernhard nicht bekannt geworden, dennoch legte der Suhrkamp-Verlag 1993 – also posthum – ein Buch mit seinen gesammelten Gedichten auf, das sich gar nicht so schlecht zu verkaufen scheint, wenn ich den amazon-Verkaufsrang als Indikator nehme. Denke ich an Bernhard als Dichter, dann fällt mir “nur” sein “Weltenstück” ein – mehr hat sich bei mir nicht festgesetzt, aber es ist ein bemerkenswertes Gedicht, das mich auch nach vielen Jahren ganz besonders berührt (soviel zu den oben erwähnten “Gemeinplätzen”). Das Gedicht ist Bernhards allererste Veröffentlichung (Münchner Merkur, 22. April 1952) – der Anfang geht wie folgt:

Zitat:

Vieltausendmal derselbe Blick
Durchs Fenster in mein Weltenstück
Ein Apfelbaum im blassen Grün
Und drüber tausendfaches Blühn,
So an den Himmel angelehnt,
Ein Wolkenband, weit ausgedehnt …



Wie so viele Schriftsteller, die von ihrem Schreiben leben wollten und letztendlich konnten, hat sich Bernhard natürlich von der Lyrik abgewandt. In diesem Fall finde ich es nicht bedauernswert, sein bestes Gedicht hat er ja gleich zu Anfang vorgelegt. Was sollte danach noch kommen?

Wenn ich ein Bild entwerfen müsste, welches die Eigenheit von Thomas Bernhards Stil zeigt, würde ich mir eine altmodische Waschmaschine vorstellen, auf die man sich noch setzen muss, damit sie im Betrieb nicht anfängt, durch die Wohnung zu fliegen. Ein Bernhard-Werk ist dann wie der nachfolgend beschriebene Waschvorgang:
In diese altmodische Waschmaschine tut der Autor einige Handvoll dreckiger Socken und Unterwäsche (Österreich, Bürgertum), eigentlich ganz gewöhnliche Sachen, wie auch Du und ich sie frisch im Schrank haben, und dazu etliche Löffel recht scharfen Waschpulvers, sicherlich etwas mehr als für die Reinigung der Wäsche notwendig wäre. Der Autor schaltet die Maschine an, recht schnell beginnt sie, gewaltig zu dröhnen, dröhnen, dröhnen, das Pulver schäumt, schäumt, schäumt, der Waschgang geht einige Stunden, stundenlang dröhnt, dröhnt, dröhnt die Maschine mono-monoton, dreckiges Wasser gischtet ständig durch einen Schlauch aus ihr heraus in den Abfluss, dann irgendwann ist die Vorstellung plötzlich vorbei, Ruhe kehrt ein, aber im Kopf ist noch immer dieses monotone Dröhnen, die endlose Variation weniger Worte, sind die dreisten Übertreibungen, ist der ganze Dreck, der doch eigentlich schon durch den Abfluss in die Unterwelt ging.

Bernhard war ein Außenseiter, der seine frühe Jugend im Nationalsozialismus erlebte, in einem NS-Internat in Salzburg untergebracht war, und der jahrzehntelang ein Lungenleiden ertragen musste; er war ein Mensch, der oft einfach nur nach Atem rang – und seiner Atemlosigkeit dann gern atemlose Werke ohne Absätze entgegengesetzt hat.
Um ein Gegenbild zur obigen Waschmaschine aufzumachen: Als Schriftsteller hat Thomas Bernhard berufsmäßig und am Ende vollkommen routiniert Schmutz auf das schmutzige Nachkriegsösterreich, seine gesellschaftlich erfolgreiche Bürgerschicht geworfen, den einen und den anderen Skandal produziert, er war aber auch ein Geschäftsmann, der genau wusste, was ihm beispielsweise ein Theaterstück einbringen musste, damit es sich für ihn lohnte, es zu schreiben.

Ich möchte am Ende dieses Artikels nicht nur Reich-Ranicki abwandeln und schreiben:
“Sie können über diesen Schriftsteller sagen, was sie wollen, mir gefällt er”. Thomas Bernhard hat einen kreativen und einzigartigen Stil gehabt, menschlich fühle ich mich ihm irgendwie nahe, was seinem Lungenleiden, seiner Biographie und allumfassenden Gegenhaltung, seiner Anti-Sozialität geschuldet sein mag, von der einiges vielleicht auch nur Pose war. Ich würde für Bernhard gewiss einige andere Autoren, die in meinen Bücherschränken stehen, opfern, aber fragt mich bitte nicht: Welche?

Veröffentlicht am 10.02.2022

© 2022 by Arne-Wigand Baganz

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#Thomas Bernhard