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Beschleunigung

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Die X-Straße in Berlin ist zu weiten Teilen eine 30er Zone. Nicht viele Autofahrer halten sich daran, aber sie haben auch keine Kontrollen zu befürchten. Wenn sie stattfänden, würde man von den Geldstrafen vielleicht die Hälfte des Berliner Haushalts bestreiten können. Aber die Polizei hat offenbar andere Prioritäten und Geld kommt auch so in die Stadt. Wenn der Stadt an der Einhaltung des Limits etwas gelegen wäre, könnte sie Schikanen auf die Straße bauen lassen, welche die Autofahrer zumindest erinnern würden: Hier ist irgendetwas besonderes und ich fahre lieber nicht ganz so schnell, sonst nimmt mein Auto noch Schaden. Mir ist es einmal passiert, dass ein größeres Auto noch in der 30er-Zone kräftig beschleunigt hat, geschätzt vielleicht auf 55 km/h, um noch Anschluss an eine Grün-Phase zu bekommen, während ich die Straße überquerte. Das Auto näherte sich mir sehr schnell; als es mich im Rücken passierte, hupte der Fahrer und rief wenige Sekunden später aus dem geöffneten Seitenfenster heraus: “Willst Du Dich umbringen?”. Ich drehte mich zu ihm hin und sah, dass er ein etwas schmieriger Typ war. Ich antwortete ihm nichts und ging weiter. Schon seine Fragestellung war ja falsch. Natürlich ist es ein beliebtes rhetorisches Mittel, durch eine Frage das Gegenüber in ein verkehrtes Narrativ zu zwingen, das einem als Fragenden passt, aber wenn die Frage schon am Anfang so falsch gestellt wird, kann nichts dabei herauskommen. Ich hätten den Fahrer fragen können: “Wolltest Du mich umbringen?”, oder er hätte sich selber fragen können: “Wollte ich ihn umbringen?”. Allerdings ist das schon ein ungeheurer Aufwand für jemanden, dem sein Hirn in den rechten Fuß gerutscht ist. Da muss ich nachsichtig sein. Immerhin lebe ich ja noch und die Aufregung war war wohl auch eher bei diesem Autofahrer.

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